Partizipation – was bedeutet das und welche Möglichkeiten haben Kinder und Jugendliche in Wien?

In Artikel 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes Österreichs ist festgeschrieben, dass Österreich eine demokratische Republik ist. Ihr Recht geht vom Volk aus. Die Bürger:innen dürfen also z. B. über Wahlen und Abstimmungen mitbestimmen. Darüber hinaus haben sie die Möglichkeit, über die Versammlungs- oder Meinunsgsäußerungsfreiheit mitzuwirken. Die Demokratie ist somit von der Bürgerbeteiligung abhängig.

Was bedeutet Partizipation?

Unter Partizipation versteht man die aktive Mitwirkung an gesellschaftlichen Prozessen, unter anderem auch an politischen Entscheidungen. Kinder und Jugendliche haben das Recht, in Entscheidungsprozesse eingebunden zu werden. Vielmehr zählt das Recht auf Partizipation zu einem der kinderrechtlichen Grundprinzipien. In Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention, die 1992 in Österreich ratifiziert wurde, als auch gemäß Artikel 24 der europäischen Grundrechtecharta, haben Kinder und Jugendliche ein Recht auf Beteiligung und darauf, ihre Meinung in allen Angelegenheiten, die sie betreffen zu äußern. Diese Rechte wurden auch in der österreichischen Verfassung, genauer gesagt in Artikel 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern verankert.
Durch Mitbestimmung sollen sie die Möglichkeit haben, ihre Bedürfnisse einzubringen und sich für Politik zu begeistern. Darüber hinaus haben junge Menschen die Chance, sich eine Meinung zu bilden und diese zu äußern. Sie können Erfahrungen in der Selbstwirksamkeit machen, stärken die Demokratie und bilden sich anhand der praktischen Erfahrungen auf politischer Ebene weiter. Auch die Politik kann davon profitieren, in dem sie Einblicke in die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Bürger:innen erhält und gezielt Maßnahmen setzt, die von Kindern und Jugendlichen gefordert werden um damit bessere Entscheidungen treffen zu können. Kinder und Jugendliche werden mit Krisensituationen wie z. B. den Nachwirkungen der COVID 19-Pandemie konfrontiert. Aus diesem Grund ist die Beteiligung von Kinder und Jugendlichen umso wichtiger.

Partizipation auf Ebene der Länder am Beispiel Wiens

2019 hat die Stadt Wien für Kinder und Jugendliche das Partizipationsprojekt „Werkstadt Junges Wien“ ins Leben gerufen. Über 22.000 Kinder und Jugendliche haben in 1.300 Workshops ihre Ideen und Vorstellungen für eine lebenswerte Stadt eingebracht. Daraus resultierte die “Kinder- und Jugendstrategie 2020-2025″, welche im Juni 2020 vom Gemeinderat beschlossen wurde. Ziel dieser Strategie sind Handlungsempfehlungen für die Stadt Wien, die darin festgesetzten 193 Maßnahmen bis 2025 umzusetzen. Mit Umsetzung der Kinder- und Jugendstrategie soll Wien zur kinder- und jugendfreundlichsten Stadt der Welt werden.

Aktuell beschäftigt sich die Stadt unter anderem mit diesen Projekten:

• Der Leitfaden „Dialog auf Augenhöhe“ gibt einen Überblick über die Möglichkeiten und Kriterien für die Partizipation von Kinder und Jugendlichen. Ziel dieses Leitfadens ist es, Kinder und Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Ideen gemeinsam umzusetzen. Dabei werden die Beteiligungsformate von der Offenen Kinder- und Jugendarbeit unterstützt. Mit den zuständigen Magistratsabteilungen und der Politik sollen diese dann umgesetzt werden.

• Durch das „Kinder- und Jugendparlament“ haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, in der Stadt Wien mitzubestimmen. In der Altersgruppe von 5 bis 20 Jahren beteiligten sich bereits im Jahr 2022 über 300 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Sie tauschen sich mit der Stadtregierung Wien aus und diskutieren die Ziele und Fortschritte der Kinder- und Jugendstrategie und schreiben gemeinsam Stellungnahmen, die dann an die Politiker:innen übergeben werden. Im Kinderparlament haben Kindergartenkinder und Schulkinder der Klassen 1 bis 8 und im Jugendparlament die Jugendlichen, die zwischen 14 und 20 Jahre alt sind, die Chance mitzumachen.

• Zur Mitgestaltung und Einbringung der eigenen Projektideen stellt die Stadt Wien den Kindern und Jugendlichen eine Millionen Euro zur Verfügung – die sogenannte „Kinder- und Jugendmillion“. Damit hatten zwischen Mitte September und Mitte November 2023 alle, die zwischen 5 und 20 Jahre alt waren die Chance, ihre Ideen einzubringen und damit ihr Recht mitzuentscheiden, wahrgenommen.

Alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (im Alter von 5 bis 20 Jahren) in Wien, haben im Frühjahr 2024 dann die Möglichkeit abzustimmen, welche Projekte umgesetzt werden. Nachdem die gewählten Projekte dem Gemeinderat vorgelegt wurden, setzt die Stadt Wien diese um.

• Die Wiener Ehrenamtswoche existiert bereits seit dem Jahr 2021. Über 11.000 Schüler:innen aus circa 430 Schulklassen in Wien, haben in den vergangenen Jahren daran teilgenommen. In der Ehrenamtswoche haben Organisationen, Vereine, NGOs gemeinsam mit der Stadt Wien und Schulklassen die Möglichkeit, sich für die Stadt mit verschiedenen Projekten stark zu machen. Dabei wurden bisher beispielsweise für Obdachlose Hygienetaschen zusammengestellt, sich um Tiere aus dem Tierheim gekümmert, Müll in der Stadt eingesammelt, ein Spieletag mit Pensionisten veranstaltet u.v.m. Am 15.04.2024 haben Wiener Schulen erneut die Möglichkeit, sich für die Projekte anzumelden. Nähere Infos gibt es hier: https://www.wienxtra.at/schulevents/wiener-ehrenamtswoche/

• Bis 2024 soll das erste Queere Jugendzentrum Österreichs entstehen. Dies soll LGBTIQ-Jugendlichen einen geschützten Raum bieten. Darüber hinaus soll damit die Vielfalt gestärkt werden. Zusätzlich gibt es Angebote für diejenigen, die am Anfang ihrer Identitätsfindung stehen oder Fragen zur sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität haben. Unterstützt wird das Jugendzentrum durch die Offene Kinder- und Jugendarbeit. Es richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene von 13 bis 27 Jahren.

• Echte Partizipation von Kinder und Jugendlichen fordert die Kinder- und Jugendanwaltschaft Wien (kurz: Kija Wien) von den Organisationen der Stadt Wien ein. Die Kija Wien bindet Kinder und Jugendliche in ihre Arbeit ein und gesteht ihnen auch Entscheidungskompetenz zu. Beim Projekt „Innovationsmanagement im Magistrat“ reichte die Kija Wien 2023 beim Call Nr. 6 einen Antrag für das Projekt „Frag doch einfach die Kinder“ ein. Dabei nahmen zwei Mitarbeiter:innen und zwei Jugendliche teil, überzeugten die Jury in einem Rollenspiel von ihrem Projekt und gewannen damit 89.000 Euro zur Projektumsetzung. Mit diesem Geld sollen neue Beteiligungsmethoden und –instrumente erarbeitet werden, die Kinder und Jugendliche ansprechen. Das Projekt startete im Jänner 2024 und dauert bis Juni 2025. Auch dieses Projekt erfolgt in Übereinstimmung mit der Kinder- und Jugendstrategie.

Fazit

Das Recht auf Partizipation zählt also zu den wichtigsten kinderrechtlichen Bestimmungen. Deshalb ist insbesondere die Analyse der Umsetzung dieses zentralen Rechts unter dem Gesichtspunkt der Mitbestimmungsmöglichkeiten in Wien interessant. Es sind Schritte in die richtige Richtung um den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entsprechen und Kindern zu ihrem Recht auf Partizipation zu verhelfen.

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Zur Autorin:

Ketrien Gottfried ist Studentin der Hochschule Kehl. Während ihrem Verwaltungspraktikum bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft hat sie sich schwerpunktmäßig dem Thema Partizipation von Kindern und Jugendlichen gewidmet.